RE: Gedichte

#16 von petias , 18.09.2020 10:04

Der Gott und die Bajadere
(Indische Legende)
Im Juni 1797 in Jena geschrieben

Mahadöh, der Herr der Erde,
kommt herab zum sechsten Mal,
dass er unsersgleichen werde,
mitzufühlen Freud und Qual.
Er bequemt sich, hier zu wohnen,
lässt sich alles selbst geschehn.
Soll er strafen oder schonen,
muss er Menschen menschlich sehn.
Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet,
die Großen belauert, auf Kleine geachtet,
verlässt er sie abends, um weiterzugehn.

Als er nun hinausgegangen,
wo die letzten Häuser sind,
sieht er, mit gemalten Wangen,
ein verlornes schönes Kind.
"Grüß dich, Jungfrau!" - "Dank der Ehre!"
Wart, ich komme gleich hinaus." -
"Und wer bist du?" - "Bajadere,
und dies ist der Liebe Haus."
Sie rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen,
sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauß.

Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle,
lebhaft ihn ins Haus hinein:
"Schöner Fremdling, lampenhelle
soll sogleich die Hütte sein.
Bist du müd, ich will dich laben,
lindern deiner Füße Schmerz.
Was du willst, das sollst du haben,
Ruhe, Freuden oder Scherz."
Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden
durch tiefes Verderben ein menschliches Herz.

Und er fordert Sklavendienste;
immer heitrer wird sie nur,
und des Mädchens frühe Künste
werden nach und nach Natur.
Und so stellet auf die Blüte
bald und bald die Frucht sich ein;
ist Gehorsam im Gemüte,
wird nicht fern die Liebe sein.
Aber, sie schärfer und schärfer zu prüfen,
wählet der Kenner der Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.

Und er küsst die bunten Wangen,
und sie fühlt der Liebe Qual,
und das Mädchen steht gefangen,
und sie weint zum ersten mal,
sinkt zu seinen Füßen nieder,
nicht um Wollust noch Gewinst,
ach! und die gelenken Glieder,
sie versagen allen Dienst.
Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier
bereiten den dunklen, behaglichen Schleier
die nächtlichen Stunden, das schöne Gespinst.

Spät entschlummert unter Scherzen,
früh erwacht nach kurzer Rast,
findet sie an ihrem Herzen
tot den vielgeliebten Gast.
Schreiend stürzt sie auf ihn nieder;
aber nicht erweckt sie ihn,
und man trägt die starren Glieder
bald zur Flammengrube hin.
Sie höret die Priester. die Totengesänge,
sie raset und rennet und teilet die Menge.
"Wer bist du? Was drängt zu der Grube dich hin?"

Bei der Bahre stürzt sie nieder,
ihr Geschrei durchdringt die Luft:
"Meinen Gatten will ich wieder!
Und ich such ihn in der Gruft.
Soll zu Asche mir zerfallen
dieser Glieder Götterpracht?
Mein! er war es, mein vor allen!
Ach, nur Eine süße Nacht!"
Es singen die Priester: "Wir tragen die Alten,
nach langem Ermatten und spätem Erkalten,
wir tragen die Jugend, noch eh sie's gedacht.

Höre deiner Priester Lehre:
dieser war dein Gatte nicht.
Lebst du doch als Bajadere,
und so hast du keine Pflicht.
Nur dem Körper folgt der Schatten
in das stille Totenreich;
nur die Gattin folgt dem Gatten:
das ist Pflicht und Ruhm zugleich. –
Ertöne, Drommete, zu heiliger Klage!
O nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage,
o nehmet den Jüngling in Flammen zu euch!"

So das Chor, das ohn' Erbarmen
mehret ihres Herzens Not;
und mit ausgestreckten Armen
springt sie in den heißen Tod.
Doch der Götterjüngling hebet
aus der Flamme sich empor,
und in seinen Armen schwebet
die Geliebte mit hervor.
Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder;
Unsterbliche heben verlorene Kinder
mit feurigen Armen zum Himmel empor.
---------------------------------------------------------Johann Wolfgang von Goethe-------------------------------------

Und die Moral von der Geschicht' (nicht von Goethe): Götter sind auch nur Männer!


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#17 von petias , 02.10.2020 10:06

Der Sänger

"Was hör' ich draußen vor dem Tor,
was auf der Brücke schallen?
Lass den Gesang vor unserm Ohr
im Saale widerhallen!"
Der König sprach's, der Page lief;
der Knabe kam, der König rief:
"Lasst mir herein den Alten!"

"Gegrüßet seid mir, edle Herrn,
gegrüßt ihr, schöne Damen!
Welch reicher Himmel! Stern bei Stern!
Wer kennet ihre Namen?
Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit
schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,
sich staunend zu ergetzen."

Der Sänger drückt' die Augen ein
und schlug in vollen Tönen;
die Ritter schauten mutig drein
und in den Schoß die Schönen.
Der König, dem das Lied gefiel,
ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,
eine goldne Kette holen.

"Die goldne Kette gib mir nicht,
die Kette gib den Rittern,
vor deren kühnem Angesicht
der Feinde Lanzen splittern;
gib sie dem Kanzler, den du hast,
und lass ihn noch die goldne Last
zu andern Lasten tragen.

Ich singe, wie der Vogel singt,
der in den Zweigen wohnet;
das Lied, das aus der Kehle dringt,
ist Lohn, der reichlich lohnet.
Doch darf ich bitten, bitt ich eins:
Lass mir den besten Becher Weins
in purem Golde reichen."

Er setzt' ihn an, er trank ihn aus:
"O Trank voll süßer Labe!
O wohl dem hochbeglückten Haus,
wo das ist kleine Gabe!
Ergeht's euch wohl, so denkt an mich,
und danket Gott so warm, als ich
Für diesen Trunk euch danke."
---------------------------------------------Johann Wolfgang von Goethe

Diese Ballade entstand 1782 in der Zeit von 1775-1786 die Goethe am Hof zu Weimar verbrachte. Er war dort Freund und Berater des jungen Herzogs und verbrachte viel Zeit mit ihm und füllte verschiedenen Posten aus, wie "Geheimer Legationsrat", "Leiter der Weimarer Kriegskommission" und "Leiter der obersten Finanzbehörde".
Er versuchte für Volk und Staat Gutes zu bewirken, hatte aber so viel zu tun, dass er kaum noch zum Schreiben kam.
Seine politische Tätigkeit war in seinen Augen nicht übermäßig erfolgreich. er schrieb:
“Denn ich sage immer, wer sich mit der Administration abgibt, ohne regierender Herr zu sein, der muss entweder ein Philister oder ein Schelm oder ein Narr sein.”
Seine großen Pläne scheiterten immer wieder an der starren Bürokratie des Weimarer Staates.

Das Gedicht "der Sänger" ist eines der ganz wenigen Werke, die er in der Zeit zu Ende gebracht hatte und beschreibt viel von seiner Lage. Er wäre gern der freie und unabhängige Sänger, der sich nicht von den Belohnungen der Welt abhängig macht. Er ist aber eher der Kanzler, der die "goldene Last" (Goethe wurde vom Herzog gut bezahlt) "zu anderen Lasten" trug.

Die Phase endete mit seiner Flucht nach Italien, auf der er wieder zu sich selbst und zurück zum Schreiben fand.


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#18 von petias , 15.10.2020 11:39

ERSCHEINUNG

Die zwölfte Stunde war beim Klang der Becher
Und wüstem Treiben schon herangewacht,
Als ich hinaus mich stahl, ein müder Zecher.
Und um mich lag die kalte, finstre Nacht;
Ich hörte durch die Stille widerhallen
Den eignen Tritt und fernen Ruf der Wacht.
Wie aus den klangreich fest-erhellten Hallen
In Einsamkeit sich meine Schritte wandten,
Ward ich von seltsam trübem Muth befallen.
Und meinem Hause nah, dem wohlbekannten,
Gewahrt ich, und ich stand versteinert fast,
Daß hinter meinen Fenstern Lichter brannten.
Ich prüfte zweifelnd eine lange Rast,
Und fragte: macht es nur in mir der Wein?
Wie käm zu dieser Stunde mir ein Gast?
Ich trat hinzu, und konnte bei dem Schein
Im wohlverschloßnen Schloß den Schlüssel drehen,
Und öffnete die Thür, und trat hinein.
Und, wie die Blicke nach dem Lichte spähen,
Da ward mir ein Gesicht gar schreckenreich, –
Ich sah mich selbst an meinem Pulte stehen.
Ich rief: «Wer bist du, Spuk?» – er rief sogleich:
«Wer stört mich auf in später Geisterstunde?»
Und sah mich an, und ward, wie ich, auch bleich.
Und unermeßlich wollte die Sekunde
Sich dehnen, da wir starrend wechselseitig
Uns ansahn, sprachberaubt mit offnem Munde.
Und aus beklommner Brust zuerst befreit ich
Das schnelle Wort: «Du grause Truggestalt,
Entweiche, mache mir den Platz nicht streitig!»
Und er, als einer, über den Gewalt
Die Furcht nur hat, erzwingend sich ein leises
Und scheues Lächeln, sprach erwidernd: «Halt!
Ich bin's, du willst es sein; – um dieses Kreises,
Des wahnsinn-drohnden, Quadratur zu finden,
Bist du der rechte, wie du sagst, beweis es;
Ins Wesenlose will ich dann verschwinden.
Du Spuk, wie du mich nennst, gehst du das ein,
Und willst auch du zu Gleichem dich verbinden?»
Drauf ich entrüstet: «Ja, so soll es sein!
Es soll mein echtes Ich sich offenbaren,
Zu Nichts zerfließen dessen leerer Schein!»
Und er: «So laß uns, wer du seist, erfahren!»
Und ich: «Ein solcher bin ich, der getrachtet
Nur einzig nach dem Schönen, Guten, Wahren;
Der Opfer nie dem Götzendienst geschlachtet,
Und nie gefrönt dem weltlich eitlen Brauch,
Verkannt, verhöhnt, der Schmerzen nie geachtet;
Der irrend zwar und träumend oft den Rauch
Für Flamme hielt, doch muthig beim Erwachen
Das Rechte nur verfocht: – bist du das auch?»
Und er mit wildem, kreischend lautem Lachen:
«Der du dich rühmst zu sein, der bin ich nicht.
Gar anders ist's bestellt um meine Sachen.
Ich bin ein feiger, lügenhafter Wicht,
Ein Heuchler mir und andern, tief im Herzen
Nur Eigennutz, und Trug im Angesicht.
Verkannter Edler du mit deinen Schmerzen,
Wer kennt sich nun? wer gab das rechte Zeichen?
Wer soll, ich oder du, sein Selbst verscherzen?
Tritt her, so du es wagst, ich will dir weichen!»
Drauf mit Entsetzen ich zu jenem Graus:
«Du bist es, bleib, und laß hinweg mich schleichen!» –
Und schlich, zu weinen, in die Nacht hinaus.
--------------------------------------------------------------Adalbert von Chamisso 1781 - 1838

Hier präsentiere ich mein Lieblingsgedicht. Viele Jahrzehnte lang seitdem ich es in Ettal lernen musste, war Der "Rechte Barbier" ebenfalls von Chamisso mein Lieblingsgedicht gewesen.
Chamisso, von Geburt Franzose, scheint sowas wie mein Lieblingsdichter zu sein. Dabei kenne ich kaum was von ihm. Sicher finde ich da noch so manchen Schatz.

"Erscheinung" ist nicht ganz leicht zu lernen, aber es lohnt sich!
Als besonders wirkungsvoll hat es sich erwiesen, das Gedicht bei Nacht vorzutragen und im Anschluss daran zu verschwinden.


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RE: Gedichte

#19 von petias , 17.10.2020 17:04

Der rechte Barbier

"Und soll ich nach Philisterart
Mir Kinn und Wange putzen,
So will ich meinen langen Bart
Den letzten Tag noch nutzen.
Ja ärgerlich wie ich nun bin,
Vor meinem Groll, vor meinem Kinn
Soll mancher noch erzittern!
Holla! Herr Wirt, mein Pferd! macht fort!
Ihm wird der Hafer frommen.
Habt Ihr Barbierer hier im Ort?
Lasst gleich den rechten kommen.
Waldaus, waldein, verfluchtes Land!
Ich ritt die kreuz und quer und fand
Doch nirgends noch den rechten.
Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
Du sollst den Bart mir kratzen;
Doch kitizlig sehr ist meine Haut,
Ich biete hundert Batzen;
Nur, machst du nicht die Sache gut,
Und fliesst ein einz'ges Tröpflein Blut -
Fährt Dir mein Dolch ins Herze."
Das spitze, kalte Eisen sah
Man auf dem Tische blitzen,
Und dem verwünschten Ding gar nah
Auf seinem Schemel sitzen
Den grimm'gen, schwarzbehaarten Mann
Im schwarzen Wams, woran
Noch schwärzre Troddel hingen.
Dem Meister wird's zu grausig fast,
Er will die Messer wetzen,
Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
Es packt ihn das Entsetzen;
Er zittert wie das Espenlaub,
Er macht sich plötzlich aus dem Staub
Und sendet den Gesellen.
"Einhundert Batzen mein Gebot,
Falls du die Kunst besitzest;
doch merk es dir, dich stech ich tot,
So du die Haut mir ritzest."
Und der Gesell: "Den Teufel auch!
Das ist des Landes nicht der Brauch."
Er läuft und schickt den Jungen.
"Bist du der Rechte, kleiner Molch?
Frisch auf! fang an zu schaben;
Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
Das beides ist zu haben!
Und schneidest, ritzest du mich bloss,
So geb ich dir den Gnadenstoss;
Du wärest nicht der erste."
Der Junge denkt der Batzen, druckst
Nicht lang und ruft verwegen:
"Nur stillgesessen! nicht gemuckst!
Gott geb Euch seinen Segen!"
Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:
"Gottlob! nun seid Ihr fertig." -
"Nimm kleiner Knirps, dein Geld nur hin;
Du bist ein wahrer Teufel!
Kein andrer mochte den Gewinn,
Du hegtest keinen Zweifel;
Es kam das Zittern dich nicht an,
Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
So stach ich dich doch nieder." -
"Ei! guter Herr, so stand es nicht,
Ich hielt euch an der Kehle;
Verzucktet Ihr nur das Gesicht
Und ging der Schnitt mir fehle,
So liess ich Euch dazu nicht Zeit;
Entschlossen war ich und bereit,
Die Kehl Euch abzuschneiden." -
"So, so! ein ganz verwünschter Spass!"
Dem Herrn ward's unbehäglich;
Er wurd auf einmal leichenblass
Und zitterte nachträglich:
"So, so! das hatt ich nicht bedacht,
Doch hat es Gott noch gut gemacht;
ich will's mir aber merken."
--------------------------------------------Adalbert von Chamisso (1781-1838)

Dieses Gedicht mussten wir in der ersten Klasse in Ettal im Rahmen des Deutschunterrichts lernen. Wir haben es wochenlang abwechselnd vor der Klasse aufgesagt und uns durch Kritik von Klasse und Lehrer verbessern lassen. Als wir es alle einigermaßen konnten, haben wir es mit verteilten Rollen gespielt. Das hat sehr viel Spaß gemacht.
Immer wieder habe ich das Gedicht meinen Kindern vorgesagt, wenn sie mit der Gute Nacht Geschichte noch nicht zufrieden waren. Dadurch lernten die es auch auswendig. Es ist so eine Art Familiengedicht geworden!


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RE: Gedichte

#20 von petias , 30.10.2020 08:36

Der Schatzgräber

Arm am Beutel, krank am Herzen,
schleppt' ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und, zu enden meine Schmerzen,
ging ich, einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst Du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis' um Kreise,
stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
grub ich nach dem alten Schatze
auf dem angezeigten Platze.
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
hinten aus der fernsten Ferne,
eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller ward's mit einem Male
von dem Glanz der vollen Schale,
die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
unter dichtem Blumenkranze;
in des Trankes Himmelsglanze
trat er in den Kreis hinein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
und ich dacht': Es kann der Knabe
mit der schönen lichten Gabe
wahrlich nicht der Böse sein.

"Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst Du die Belehrung,
kommst mit ängstlicher Beschwörung
nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens!
Tages Arbeit, abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei Dein künftig Zauberwort."
-------------------------------------------------Johann Wolfgang von Goethe (Mai 1797)

Die Bereitschaft für zweifelhafte Reichtümer unsere Seele zu verkaufen ist groß! Die Folgen werden nicht bedacht. Wo ist der Knabe mit dem Himmelstrank, uns zur Vernunft zu bringen?


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RE: Gedichte

#21 von petias , 10.11.2020 20:33

Der Fischer

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
ein Fischer saß daran,
sah nach dem Angel ruhevoll,
kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
„Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
hinauf in Todesglut?
Ach wüsstest du, wie's Fischlein ist
so wohlig auf dem Grund,
du stiegst herunter, wie du bist,
und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
nicht her in ew'gen Tau?“

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
netzt' ihm den nackten Fuß;
sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
da war's um ihn geschehn;
halb zog sie ihn, halb sank er hin
und ward nicht mehr gesehn.
-----------------------------------------------Johann Wolfgang von Goethe 1779


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RE: Gedichte

#22 von petias , 10.01.2021 19:40

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe,
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf-. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

-----------------------------------------------------------Rainer Maria Rilke 1902 oder 1903


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RE: Gedichte

#23 von petias , 25.01.2021 20:47

Der Ring des Polykrates

Er stand auf seines Daches Zinnen,
er schaute mit vergnügten Sinnen
auf das beherrschte Samos hin.
„Dies alles ist mir untertänig“,
begann er zu Ägyptens König.
„Gestehe, dass ich glücklich bin“.

„Du hast der Götter Gunst erfahren,
die vormals deinesgleichen waren,
sie zwingt jetzt deines Zepters Macht.
Doch Einer lebt noch, sich zu rächen;
dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
solang des Feindes Auge wacht“.

Und eh der König noch geendet,
da stellt sich, von Milet gesendet,
ein Bote dem Tyrannen dar:
„Lass, Herr, des Opfers Düfte steigen,
und mit des Lorbeers muntern Zweigen
bekränze dir dein festlich Haar!

Getroffen sank dein Feind vom Speere,
mich sendet mit der frohen Märe
dein treuer Feldherr Polydor" –
und nimmt aus einem schwarzen Becken,
noch blutig, zu der beiden Schrecken,
ein wohl bekanntes Haupt hervor.

Der König tritt zurück mit Grauen.
„Doch warn ich dich, dem Glück zu trauen“,
versetzt er mit besorgtem Blick.
„Bedenk, auf ungetreuen Wellen,
wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,
schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück“.

Und eh er noch das Wort gesprochen,
hat ihn der Jubel unterbrochen,
der von der Reede jauchzend schallt.
Mit fremden Schätzen reich beladen,
kehrt zu den heimischen Gestaden
der Schiffe mastenreicher Wald.

Der königliche Gast erstaunet:
„Dein Glück ist heute gut gelaunet,
doch fürchte seinen Unbestand!
Der Kreter waffenkundge Scharen
bedräuen dich mit Kriegsgefahren;
schon nahe sind sie diesem Strand“.

Und eh ihm noch das Wort entfallen,
da sieht man’s von den Schiffen wallen,
und tausend Stimmen rufen: „Sieg!
Von Feindesnot sind wir befreiet,
die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
vorbei, geendet ist der Krieg!“

Das hört der Gastfreund mit Entsetzen:
„Fürwahr, ich muss dich glücklich schätzen,
doch“, spricht er, „zittr‘ ich für dein Heil.
Mir grauet vor der Götter Neide:
des Lebens ungemischte Freude
ward keinem Irdischen zuteil.

Auch mir ist alles wohl geraten,
bei allen meinen Herrschertaten
begleitet mich des Himmels Huld;
doch hatt ich einen teuren Erben,
den nahm mir Gott, ich sah in sterben,
dem Glück bezahlt ich meine Schuld.

Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
so flehe zu den Unsichtbaren,
dass sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch keinen sah ich fröhlich enden,
auf den mit immer vollen Händen
die Götter ihre Gaben streun.

Und wenn’s die Götter nicht gewähren,
so acht auf eines Freundes Lehren
und rufe selbst das Unglück her,
und was von allen deinen Schätzen
dein Herz am höchsten mag ergetzen,
das nimm und wirf’s in dieses Meer!“

Und jener spricht, von Furcht beweget:
„Von allem, was die Insel heget,
ist dieser Ring mein höchstes Gut.
Ihn will ich den Erinnen weihen,
ob sie mein Glück mir dann verzeihen –“
und wirft das Kleinod in die Flut.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,
da tritt mit fröhlichem Gesichte
ein Fischer vor den Fürsten hin:
„Herr, diesen Fisch hab ich gefangen,
wie keiner noch ins Netz gegangen,
dir zum Geschenke bring ich ihn“.

Und als der Koch den Fisch zerteilet,
kommt er bestürzt herbeigeeilet
und ruft mit hocherstauntem Blick:
„Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
Ihn fand ich in des Fisches Magen,
oh, ohne Grenzen ist dein Glück!“

Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
„So kann ich hier nicht ferner hausen,
mein Freund kannst du nicht weiter sein.
Die Götter wollen dein Verderben –
fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.“
Und sprach’s und schiffte schnell sich ein.

---------------------------------------------------Friedrich Schiller im Juni 1797

Übers Wochenende habe ich einige der großen Schiller- Balladen wiederholt, die der Meister alle 1797 geschrieben hat.
Der Ring des Polykrates war im Juni dran.


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RE: Gedichte

#24 von petias , 30.01.2021 15:59

Die Kraniche des Ibykus

Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
der auf Korinthus' Landesenge
der Griechen Stämme froh vereint,
zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
der Lieder süßen Mund Apoll,
so wandert' er, an leichtem Stabe,
aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
und in Poseidons Fichtenhain
tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
von Kranichen begleiten ihn,
die fernhin nach des Südens Wärme
in graulichtem Geschwader ziehn.

"Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen!
Die mir zur See Begleiter waren,
zum guten Zeichen nehm ich euch,
mein Los, es ist dem euren gleich.
Von fernher kommen wir gezogen
und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen,
der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter fördert er die Schritte
und sieht sich in des Waldes Mitte,
da sperren, auf gedrangem Steg,
zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muss er sich bereiten,
doch bald ermattet sinkt die Hand,
sie hat der Leier zarte Saiten,
doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die Götter,
sein Flehen dringt zu keinem Retter,
wie weit er auch die Stimme schickt,
nichts Lebendes wird hier erblickt.
"So muss ich hier verlassen sterben,
auf fremdem Boden, unbeweint,
durch böser Buben Hand verderben,
wo auch kein Rächer mir erscheint!"

Und schwer getroffen sinkt er nieder,
da rauscht der Kraniche Gefieder,
er hört, schon kann er nichts mehr sehn,
die nahen Stimmen furchtbar krähn.
"Von euch, ihr Kraniche dort oben,
wenn keine andre Stimme spricht,
sei meines Mordes Klag erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
und bald, obgleich entstellt von Wunden,
erkennt der Gastfreund in Korinth
die Züge, die ihm teuer sind.
"Und muss ich dich so wiederfinden,
und hoffte mit der Fichte Kranz
des Sängers Schläfe zu umwinden,
bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und jammernd hören's alle Gäste,
versammelt bei Poseidons Feste,
ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
verloren hat ihn jedes Herz.
Und stürmend drängt sich zum Prytanen
das Volk, es fordert seine Wut,
zu rächen des erschlagnen Manen,
zu sühnen mit des Mörders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge,
der Völker flutendem Gedränge,
gelocket von der Spiele Pracht,
den schwarzen Täter kenntlich macht?
Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen?
tat's neidisch ein verborgner Feind?
Nur Helios vermag's zu sagen,
der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
jetzt eben durch der Griechen Mitte,
und während ihn die Rache sucht,
genießt er seines Frevels Frucht.
Auf ihres eignen Tempels Schwelle
trotzt er vielleicht den Göttern, mengt
sich dreist in jene Menschenwelle,
die dort sich zum Theater drängt.

Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
es brechen fast der Bühne Stützen,
herbeigeströmt von fern und nah,
der Griechen Völker wartend da,
dumpfbrausend wie des Meeres Wogen;
von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
in weiter stets geschweiftem Bogen
hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
die gastlich hier zusammenkamen?
Von Theseus' Stadt, von Aulis' Strand,
von Phokis, vom Spartanerland,
von Asiens entlegener Küste,
von allen Inseln kamen sie
und horchen von dem Schaugerüste
Des Chores grauser Melodie.

Der streng und ernst, nach alter Sitte,
mit langsam abgemeßnem Schritte,
hervortritt aus dem Hintergrund,
umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine irdschen Weiber,
die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
hoch über menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
sie schwingen in entfleischten Händen
der Fackel düsterrote Glut,
in ihren Wangen fließt kein Blut.
Und wo die Haare lieblich flattern,
um Menschenstirnen freundlich wehn,
da sieht man Schlangen hier und Nattern
die giftgeschwollenen Bäuche blähn.

Und schauerlich gedreht im Kreise
beginnen sie des Hymnus Weise,
der durch das Herz zerreißend dringt,
die Bande um den Sünder schlingt.
Besinnungsraubend, herzbetörend
schallt der Errinyen Gesang,
er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
und duldet nicht der Leier Klang:

Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
des Mordes schwere Tat vollbracht,
wir heften uns an seine Sohlen,
das furchtbare Geschlecht der Nacht!

Und glaubt er fliehend zu entspringen,
geflügelt sind wir da, die Schlingen
ihm werfend um den flüchtgen Fuß,
dass er zu Boden fallen muss.
So jagen wir ihn, ohn Ermatten,
versöhnen kann uns keine Reu,
ihn fort und fort bis zu den Schatten
und geben ihn auch dort nicht frei.

So singend, tanzen sie den Reigen,
und Stille wie des Todes Schweigen
liegt überm ganzen Hause schwer,
als ob die Gottheit nahe wär.
Und feierlich, nach alter Sitte
umwandelnd des Theaters Rund
mit langsam abgemeßnem Schritte,
verschwinden sie im Hintergrund.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
noch zweifelnd jede Brust und bebet
und huldigt der furchtbarn Macht,
die richtend im Verborgnen wacht.
Die unerforschlich, unergründet
des Schicksals dunklen Knäuel flicht,
dem tiefen Herzen sich verkündet,
doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Da hört man auf den höchsten Stufen
auf einmal eine Stimme rufen:
"Sieh da! Sieh da, Timotheus,
die Kraniche des Ibykus!" –
Und finster plötzlich wird der Himmel,
und über dem Theater hin
sieht man in schwärzlichtem Gewimmel
ein Kranichheer vorüberziehn.

"Des Ibykus!" – Der teure Name
rührt jede Brust mit neuem Grame,
und, wie im Meere Well auf Well,
so läuft's von Mund zu Munde schnell:
"Des Ibykus, den wir beweinen,
den eine Mörderhand erschlug!
Was ist's mit dem? Was kann er meinen?
Was ist's mit diesem Kranichzug?" –

Und lauter immer wird die Frage,
und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage
durch alle Herzen. "Gebet acht!
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
der Mörder bietet selbst sich dar!
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,
Und ihn, an den's gerichtet war."

Doch dem war kaum das Wort entfahren,
möcht er's im Busen gern bewahren;
umsonst, der schreckenbleiche Mund
macht schnell die Schuldbewußten kund.
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
die Szene wird zum Tribunal,
und es gestehn die Bösewichter,
getroffen von der Rache Strahl.
------------------------------------------ Friedrich Schiller

Dies ist, wenn ich so nachdenke, meine Lieblingsballade von Schiller.
Anlässlich diese Werkes fällt mir immer ein:

"Der Friederich, der Friederich,
der war ein arger Wüterich"

obwohl das aus dem "Struwwelpeter" ist, ein Kinderbuch zu meiner Kinderzeit vielgelesen, das nicht mehr so recht in das aktuelle pädagogische Konzept passen will!

"Die Kraniche des Ibykus" ist ein antiker Krimi mit klarer moralischer Zielsetzung: Es geht um Schuld, Rache und Vergeltung! Um Helden, Ruhm und Gesang. Um Kampfsport und Spiele. Um die von mir sehr geteilte Romantik des einsamen Wanderers durch waldreiche Gegenden.

Selbst forensische Hilfsmittel werden zur Überführung bemüht. ( ... der schreckensbleiche Mund - macht gleich die Schuldbewussten kund!)
Ein Schwarm Kraniche als Zeugen, Geständnis, Urteil und sofortige Vollstreckung!
Wie klar und einfach sie doch war, die gute alte Zeit. Kein Wunder, dass so mancher sie sich zurückersehnt!


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RE: Gedichte

#25 von petias , 13.02.2021 18:16

Valentinstag

Der Valentinstag wird schon früh in der Geschichte mit der Poesie romantischer Liebe in Verbindung gebracht.

„For this was on seynt Volantynys day
Whan euery bryd comyth there to chese his make.“


„Es geschah am Valentinstag
Als jeder Vogel kam, um seinen Partner zu wählen.“

– Geoffrey Chaucer: Parlement of Foules (1382)

Auch in Shakespeares Hammlet (1601) besingt Ophelia den Valentinstag als den Tag, an dem sie dem Geliebten als Valentina erscheint

„To-morrow is Saint Valentine’s day,
All in the morning betime,
And I a maid at your window,
To be your Valentine.
Then up he rose, and donn’d his clothes,
And dupp’d the chamber-door;
Let in the maid, that out a maid
Never departed more.“


„Auf morgen ist Sankt Valentins Tag,
Wohl an der Zeit noch früh,
Und ich, ’ne Maid, am Fensterschlag,
Will sein eu’r Valentin.
Er war bereit, thät an sein Kleid,
Thät auf die Kammerthür,
Ließ ein die Maid, die als ’ne Maid
Ging nimmermehr herfür.“


Im Jahre 1797 brachte ein britischer Verleger das Werk "The Young Man’s Valentine Writer" heraus, das viele Verse für junge Liebhaber enthielt, die nicht selbst dichten konnten.
Da wollte ich mich natürlich nicht bedienen. Ich habe im Laufe der Zeit mehrere Valentinsgedichte geschrieben. Hier sind zwei davon:


Blumen schenk‘ ich keine Dir,
die können wahrlich nichts dafür!
Kein Grund sie auszureißen
und schließlich weg zu schmeißen!

Irgendwer hat mit Bedacht,
er will Geschäfte machen
den „Tag der Liebenden“ gemacht
und sich ins Fäustchen lachen.

Das ist auch gar nicht weiter schlimm,
jedweder Anlass ist willkommen Grund
mit Freude füllet mir den Sinn,
zu tun Dir meine Liebe kund

ich LIEBE DICH Du Göttin meines Herzen
Und nicht nur, weil du wunderschön,
Dein lieblich Wesen leuchtet, wie das warme Licht der Kerzen
man kann es nicht mit blosem Auge seh’n

Ich danke Dir, dass Du in meinem Leben bist,
dass Dir gelingt, mich armen Wicht zu lieben.
Ich hätte Dich so sehr vermisst
und wär‘ allein geblieben



Bei diesem wusste ich gar nicht so recht, wie meine Herzdame über den Valentinstag denkt. Es schien mir weder geraten nicht darauf zu reagieren, noch zu schwülstig, darum beschränkte ich mich darauf über Valentins- und Liebesbräuche zu berichten und kam erst danach auf den Punkt, mit der Betonung, dass das nicht nur am Valentinstag gilt.


Valentinstag

Viele feiern Jahr für Jahr
ein Fest so Mitte Februar.
In Japan schenken Frauen gern
Süßes dem geliebten Herrn.

Der wird dann einen Monat später
selbst zum Liebes-Süßen-Täter
- tät er‘s nicht, wär‘s wirklich schade -
ihr schenken weiße Schokolade.

Ging eins von beidem in die Hose
gibt’s Nudeln dann mit schwarzer Soße
am „Black Day“ einen Monat drauf
mit Trauertränen, ach, zuhauf!

Verliebte schließen oft an Brücken
mit Schlössern ihre Liebe ein.
Hoffnungsvoll und mit Entzücken -
der Wunsch es soll für immer sein!

Blumen oder süße Sachen,
wer leer aus geht wird traurig sein,
kann wahrlich nicht darüber lachen
fühlt elend sich und so allein!

Auch ich gedenke meiner Schönen,
so wie an jedem andren Tag -
bezirze sie mit meinen Tönen
hoffend, dass sie’s leiden mag.

Im Innern bin ich ihr ganz nah
was sie auch jemals in mir sah
ich dank den Göttern für die Gnade
sie nicht zu kennen wär‘ sooo schade!


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RE: Gedichte

#26 von petias , 21.02.2021 10:43

Gefunden

Ich ging im Walde
so für mich hin,
und nichts zu suchen,
das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
da sagt es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grub's mit allen
den Würzlein aus.
Zum Garten trug ich's
am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder
am stillen Ort;
nun zweigt es immer
und blüht so fort.
---------------------------------------Johann Wolfgang von Goethe ( August 1813)

Noch blühen keine Blümlein auf und um den Lichthügel. Aber der Kontrast der gegenwärtigen Tage mit Frühlingstemperaturen zu der scharfen Kälteperiode noch vor ein paar Tagen mit weniger als -20 Grad Celsius ist so groß, dass Frühlingsgefühle unvermeidlich in mir hochsteigen.
Ich nehme abends meist einen kleinen Satz an Gedichten aus meiner Mappe mit hoch in die Hütte. Manchmal komme ich dazu, sie am Morgen zu wiederholen. "Gefunden" von Goethe, das sich jahrelang versteckt hatte, war die letzten Tage immer wieder dabei.
Es ist so klar und einfach, dass es keiner Interpretation bedarf, sollte man meinen.

Eine interessante Randnotiz habe ich zu diesem Gedicht gefunden:
Der Meister hat es am 26.8.1813 auf dem Weg nach Ilmenau (Thüringen, eine Stadt ca. 50 km vom Lichthügel entfernt, Niko ist da Busfahrer) geschrieben für seine sehr gerne gärtnernde Frau. Ein nachträgliches Geschenk des Dichters zum 25. Jahrestag ihrer Beziehung.

Ob der Dichter damit andeutet, dass seine Frau, Christiane Vulpius, diese Blume ist, die er nicht im Liebesrausch gebrochen, sondern mit ihr eine 28 jährige Beziehung hatte? Sie lebten überwiegend in einem Haus mit Garten vor den Toren Weimars, 1816 starb sie.
Er hatte sie erst 1806, nach 18 Jahren "wilder Ehe" geheiratet.


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RE: Gedichte

#27 von petias , 01.04.2021 00:01

Der Erste April

Der Fritz und Hans der Brüder zwei
betreiben ewig Neckerei.
Zumal dem Hans machts großen Spaß,
den Fritz zu führen an der Nas.
Einstmals sind alle zwei zu Haus
zum Fenster still sieht Hans hinaus
indessen Fritz am Tische sitzt
und über Schularbeiten schwitzt.
Da ruft Hans plötzlich: „Schau mal hier,
ein Krokodil, uh, welch ein Tier!“
Fritz stürmt ans Fenster: „Krokodil?“
„Angeführt April, April“.
Den selbgen Tag, als das passierte,
begann in Wirklichkeit der vierte.
Nun dieser Scherz ist bald vergessen
Doch später nach dem Mittagessen
ruft Hans am Fenster wieder laut:
„Fritz, Fritz ein Pferd mit weißer Haut“!
Doch Fritzchen merkt, was jener will:
„Du schickst mich nicht in den April.
Ich wette tausend gegen zehn
kein solches Tier ist jetzt zu sehen.“
„Nun gut, du magst das untersuchen,
es geht um einen Pfefferkuchen.“
Als Fritz nun auf die Straße schaut,
steht dort ein Pferd mit weißer Haut.
Er kratzt sich hinter seinen Ohren
und seufzt enttäuscht: „Ich hab verloren!“
Am selben Tag, die Uhr schlägt acht;
wünscht Hans dem Bruder gute Nacht
und trollt am Fenster sich vorbei.
„Fritz“, schreit er plötzlich. „Zauberei!
Denk eben kuckt durchs Fenster hier
ein junger Esel, glaubst Du mir?
Horch, hörtest Du nicht sein IA?“
Fritz zögert lang, dann spricht er: „Ja“
Er tritt ans Fenster, späht hinaus
jedoch kein Grautier steht vorm Haus.
„Oh Hans“, so spricht er indigniert.
„Du hast mich wieder angeführt!“
Das Hänschen aber lacht nicht schlecht:
„Nein, diese Mal bist Du im Recht.
Das Eslein nämlich ohne Witz,
das warst Du selber Bruder Fritz!“
-------------------------------------------Joachim Ringelnatz


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RE: Gedichte

#28 von petias , 04.04.2021 01:14

Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
im Tale grünet Hoffnungsglück;
der alte Winter, in seiner Schwäche,
zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie mit Farben beleben;
doch an Blumen fehlts im Revier,
sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
denn sie sind selber auferstanden:
aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus der Straßen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
durch die Gärten und Felder zerschlägt,
wie der Fluß in Breit und Länge
so manchen lustigen Nachen bewegt,
und, bis zum Sinken überladen,
entfernt sich dieser letzte Kahn.
selbst von des Berges fernen Pfaden
blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
hier ist des Volkes wahrer Himmel,
zufrieden jauchzet groß und klein:
hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!
-------------------------------------------------------Johann Wolfgang von Goethe (in „Faust“ I)


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RE: Gedichte

#29 von petias , 27.05.2021 09:49

Das Übersetzen von Gedichten

Es ist eine große Herausforderung ein Gedicht aus einer Sprache in eine andere zu übertragen. Versmaß und Reim sollen erhalten bleiben und auch der Sinn. Das kann nicht ohne Abstriche gelingen. Ich habe mich mal an einem bekannten englischen Limmerick versucht:

A young lady of Niger
rode with a smile on a tiger
when they returned from the ride
was the Lady inside
and the smile on the face of the tiger

Eine junge Dame aus Nigeria
Sprach: „zum Essen bin ich wieder da!“
Ritt dann auf einem Tiger fort,
doch leider hielt sie nicht Ihr Wort.
Niemand sie jemals wieder sah!

oder:
Eine junge Dame aus Niger
ritt lächelnd auf einem Tiger.
Doch auf der Reise
diente die Dame als Speise
und das Tier war der lächelnde Sieger.


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RE: Gedichte

#30 von petias , 17.06.2021 14:28

Das Lied von der Glocke (Glockengießerlied)

Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.

Fest gemauert in der Erden
steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muss die Glocke werden!
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiß
rinnen muss der Schweiß,
soll das Werk den Meister loben;
doch der Segen kommt von oben.

Zum Werke, das wir ernst bereiten,
geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
wenn gute Reden sie begleiten,
dann fließt die Arbeit munter fort.
So lasst uns jetzt mit Fleiß betrachten,
was durch die schwache Kraft entspringt;
den schlechten Mann muss man verachten,
der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist’s ja, was den Menschen zieret,
und dazu ward ihm der Verstand,
dass er im innern Herzen spüret,
was er erschafft mit seiner Hand.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
doch recht trocken laßt es sein,
dass die eingepresste Flamme
schlage zu dem Schwalch hinein!
Kocht des Kupfers Brei!
Schnell das Zinn herbei,
dass die zähe Glockenspeise
fließe nach der rechten Weise!

Was in des Dammes tiefer Grube
die Hand mit Feuers Hülfe baut,
hoch auf des Turmes Glockenstube,
da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird’s in späten Tagen
und rühren vieler Menschen Ohr,
und wird mit den Betrübten klagen
und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
das wechselnde Verhängnis bringt,
das schlägt an die metallne Krone,
die es erbaulich weiter klingt.

Weiße Blasen seh’ ich springen;
wohl! Die Massen sind im Fluss.
Laßt’s mit Aschenfalz durchdringen,
das befördert schnell den Guss.
Auch vom Schaume rein
muss die Mischung sein,
dass vom reinlichen Metalle
rein und voll die Stimme schalle.

Denn mit der Freude Feierklange
begrüßt sie das geliebte Kind
auf seines Lebens erstem Gange,
den es in Schlafes Arm beginnt;
ihm ruhen noch im Zeitenschoße
die schwarzen und die heitern Lose;
der Mutterliebe zarte Sorgen
bewachen seinen goldnen Morgen –
die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
er stürmt ins Leben wild hinaus,
durchmisst die Welt am Wanderstabe,
fremd kehrt er heim ins Vaterhaus.
Und herrlich in der Jugend Prangen,
wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
mit züchtigen, verschämten Wangen
sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
des Jünglings Herz, er irrt allein,
aus seinen Augen brechen Tränen,
er flieht der Brüder wilden Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren
und ist von ihrem Gruß beglückt,
das Schönste sucht er auf den Fluren,
womit er seine Liebe schmückt.
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
der ersten Liebe goldne Zeit,
das Auge sieht den Himmel offen,
es schwelgt das Herz in Seligkeit;
o dass sie ewig grünen bliebe,
die schöne Zeit der jungen Liebe!

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
sehn wir’s überglast erscheinen,
wird’s zum Gusse zeitig sein,
jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
ob das Spröde mit dem Weichen
sich vereint zum guten Zeichen.

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
wo Starkes sich und Mildes paarten,
da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
spielt der jungfräuliche Kranz,
wenn die hellen Kirchenglocken
laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
endigt auch den Lebensmai,
mit dem Gürtel, mit dem Schleier
reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht,
die Liebe muss bleiben;
die Blume verblüht,
die Frucht muss treiben.
Der Mann muss hinaus
ins feindliche Leben,
muss wirken und streben
und pflanzen und schaffen,
erlisten, erraffen,
muss wetten und wagen,
das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
die züchtige Hausfrau,
die Mutter der Kinder,
und herrschet weise
im häuslichen Kreise,
und lehret die Mädchen
und wehret den Knaben,
und reget ohn’ Ende
die fleißigen Hände,
und mehrt den Gewinn
mit ordnendem Sinn,
und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer
und ruhet nimmer.

Und der Vater mit frohem Blick
von des Hauses weitschauendem Giebel
überzählet sein blühend Glück.
Siehet der Pfosten ragende Bäume
und der Scheunen gefüllte Räume,
und die Speicher, vom Segen gebogen,
und des Kornes bewegte Wogen,
rühmt sich mit stolzem Mund:
fest, wie der Erde Grund,
gegen des Unglücks Macht
steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
ist kein ew’ger Bund zu flechten,
und das Unglück schreitet schnell.

Wohl! nun kann der Guss beginnen,
schön gezacket ist der Bruch.
Doch bevor wir’s lassen rinnen,
betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr’ das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
schießt’s mit feuerbraunen Wogen.

Wohltätig ist des Feuers Macht,
wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
und was er bildet, was er schafft,
das dankt er dieser Himmelskraft;
doch furchtbar wird die Himmelskraft,
wenn sie der Fessel sich entrafft,
einhertritt auf der eignen Spur,
die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen,
wachsend ohne Widerstand,
durch die volkbelebten Gassen
wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
quillt der Segen,
strömt der Regen;
aus der Wolke, ohne Wahl,
zuckt der Strahl.
Hört ihr’s wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot, wie Blut,
ist der Himmel;
das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Straßen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
durch der Straße lange Zeile
wächst es fort mit Windeseile;
kochend, wie aus Ofens Rachen,
glüh'n die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
unter Trümmern;
alles rennet, rettet, flüchtet,
taghell ist die Nacht gelichtet;
durch der Hände lange Kette
um die Wette
fliegt der Eimer; hoch im Bogen
spritzen Quellen Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
der die Flamme brausend sucht;
prasselnd in die dürre Frucht
fällt sie, in des Speichers Räume,
in der Sparren dürre Bäume,
und als wollte sie im Wehen
mit sich fort der Erde Wucht
reißen in gewalt’ger Flucht,
wächst sie in des Himmels Höhen.
Riesengroß!
Hoffnungslos
weicht der Mensch der Götterstärke,
müßig sieht er seine Werke
und bewundernd untergehn.

Leergebrannt
ist die Stätte,
wilder Stürme raues Bette.
In den öden Fensterhöhlen
wohnt das Grauen,
und des Himmels Wolken schauen
hoch hinein.

Einen Blick
nach dem Grabe
seiner Habe
sendet noch der Mensch zurück –
greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
ein süßer Trost ist ihm geblieben,
er zählt die Häupter seiner Lieben,
und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

In die Erd’ ist’s aufgenommen,
glücklich ist die Form gefüllt:
Wird’s auch schön zu Tage kommen,
dass es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guss misslang?
Wenn die Form zersprang?
Ach, vielleicht, indem wir hoffen,
hat uns Unheil schon getroffen.

Dem dunkeln Schoß der heil’gen Erde
vertrauen wir der Hände Tat,
vertraut der Sämann seine Saat,
und hofft, dass sie entkeimen werde
zum Segen, nach des Himmels Rat.

Noch köstlicheren Samen bergen
wir trauernd in der Erde Schoß,
und hoffen, dass er aus den Särgen
erblühen soll zu schönerm Los.

Von dem Dome,
schwer und bang,
tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! die Gattin ist’s, die teure,
ach, es ist die treue Mutter,
die der schwarze Fürst der Schatten
wegführt aus dem Arm des Gatten,
aus der zarten Kinder Schaar,
die sie blühend ihm gebar,
die sie an der treuen Brust
wachsen sah mit Mutterlust –
ach! des Hauses zarte Bande
sind gelöst auf immerdar;
denn sie wohnt im Schattenlande,
die des Hauses Mutter war;
denn es fehlt ihr treues Walten,
ihre Sorge wacht nicht mehr;
an verwaister Stätte schalten
wird die Fremde, liebeleer.

Bis die Glocke sich verkühlet,
lasst die strenge Arbeit ruhn.
Wie im Laub der Vogel spielet,
mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
ledig aller Pflicht,
hört der Bursch die Vesper schlagen;
Meister muss sich immer plagen.

Munter fördert seine Schritte
fern im wilden Forst der Wandrer
nach der lieben Heimathütte.
Blökend ziehen heim die Schafe,
und der Rinder
breitgestirnte, glatte Scharen
kommen brüllend,
die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
schwankt der Wagen
kornbeladen;
bunt von Farben,
auf den Garben
liegt der Kranz,
und das junge Volk der Schnitter
fliegt zum Tanz.

Markt und Straße werden stiller,
um des Lichts gesell’ge Flamme
sammeln sich die Hausbewohner,
und das Stadttor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
sich die Erde;
doch den sichern Bürger schrecket
nicht die Nacht,
die den Bösen grässlich wecket;
denn das Auge des Gesetzes wacht.

Heil’ge Ordnung, segenreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
frei und leicht und freudig bindet,
die der Städte Bau gegründet,
die herein von den Gefilden
rief den ungesell’gen Wilden,
eintrat in der Menschen Hütten,
sie gewöhnt zu sanften Sitten,
und das teuerste der Bande
wob, den Trieb zum Vaterlande!

Tausend fleiß’ge Hände regen,
helfen sich in munterm Bund,
und in feurigem Bewegen
werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
in der Freiheit heil’gem Schutz;
jeder freut sich seiner Stelle,
bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis;
ehrt den König seine Würde,
ehret uns der Hände Fleiß.

Holder Friede,
süße Eintracht,
weilet, weilet
freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen
wo des rauhen Krieges Horden
dieses stille Tal durchtoben;
wo der Himmel,
den des Abends sanfte Röte
lieblich malt,
von der Dörfer, von der Städte
wildem Brande schrecklich strahlt!

Nun zerbrecht mir das Gebäude,
seine Absicht hat’s erfüllt,
dass sich Herz und Auge weide
an dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
bis der Mantel springt!
Wenn die Glock’ soll auferstehen,
muss die Form in Stücken gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen
mit weiser Hand, zur rechten Zeit;
doch wehe, wenn im Flammenbächen
das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend, mit des Donners Krachen,
zersprengt es das geborstne Haus,
und wie aus offnem Höllenrachen
speit es Verderben zündend aus.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
da kann sich kein Gebild gestalten;
wenn sich die Völker selbst befrein,
da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
der Feuerzunder still gehäuft,
das Volk, zerreißend seine Kette,
zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
der Aufruhr, dass sie heulend schallt
und, nur geweiht zu Friedensklängen,
die Losung anstimmt zur Gewalt.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
die Straßen füllen sich, die Hallen,
und Würgerbanden ziehn umher.
Da werden Weiber zu Hyänen
und treiben mit Entsetzen Scherz;
noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
sich alle Bande frommer Scheu;
der Gute räumt den Platz dem Bösen,
und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn;
jedoch der schrecklichste der Schrecken,
das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden,
und äschert Städt’ und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern,
aus der Hülse, blank und eben,
schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
spielt’s wie Sonnenglanz,
auch des Wappens nette Schilder
loben den erfahrnen Bilder.

Herein! Herein!
Gesellen alle, schließt den Reihen,
dass wir die Glocke taufend weihen!
Concordia soll ihr Name sein.
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
versammle sie die liebende Gemeine.
Und dies sei fortan ihr Beruf,
wozu der Meister sie erschuf:
hoch überm niedern Erdenleben
soll sie im blauen Himmelszelt,
die Nachbarin des Donners, schweben
und grenzen an die Sternenwelt,
soll eine Stimme sein von oben,
wie der Gestirne helle Schar,
die ihren Schöpfer wandelnd loben
und führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
sei ihr metallner Mund geweiht,
und stündlich mit den schnellen Schwingen
berühr’ im Fluge sie die Zeit.
Dem Schicksal leihe sie die Zunge;
selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
begleite sie mit ihrem Schwunge
des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
der mächtig tönend ihr entschallt,
so lehre sie, dass nichts bestehet,
dass alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges
wiegt die Glock’ mir aus der Gruft,
dass sie in das Reich des Klanges
steige, in die Himmelsluft!
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt.
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.
-------------------------------------- Fridrich Schiller (veröffentlicht 1799) -----------------------------

Schiller wurde oft bezichtigt, er hätte zwar ein schönes Gedicht gemacht, aber vom Glockengießen keine Ahnung. Das stimmt aber nicht. Schon ein Schulkamerad von ihm war der Sohn eines Glockengießers und die Gießerei befand sich in seiner Ludwigsburger Nachbarschaft.
1788 besuchte Schiller die Glockengießerei Mayer in Rudolstadt (ganz in der Nähe des Lichthügels) und ließ sich den Vorgang genau erklären und zeigen.
Das Glockengießerlied, wie er es zunächst nannte brauchte 10 Jahre bis zu seiner Vollendung. Schiller machte mehrere Anläufe.

Ich habe darin viele geflügelte Worte meines Vaters wiedergefunden, die der immer wieder gebrauchte:
„Da werden Weiber zu Hyänen“
„Denn das Auge des Gesetzes wacht“
„(Der Mann muss) hinaus ins feindliche Leben“
„Doch der Segen kommt von oben“
„Es schwelgt das Herz in Seligkeit“
„Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken“
„O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen, Der ersten Liebe goldne Zeit“
„Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß“
„Wehe, wenn sie losgelassen!“
„Wo rohe Kräfte sinnlos walten“
„Drinnen waltet die züchtige Hausfrau“
„Er zählt die Häupter seiner Lieben“
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet“
„Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang“
„Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten“
„Ach! Die Gattin ist’s, die teure“

bestimmt hat er das Gedicht in seiner Schulzeit auch mal lernen müssen. Aber viele dieser Zitate sind weit verbreitet.
Mir ist es in meiner Schulzeit erspart geblieben, das Mammutwerk zu lernen. Umso schwieriger war es dann im reiferen Alter!

Das Lied von der Glocke ist eine menschliche Kulturgeschichte zu Schillers Zeit und vieles hat weit darüber hinaus Gültigkeit!


petias  
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zuletzt bearbeitet 18.06.2021 | Top

   

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