RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#16 von petias , 16.12.2020 00:00

16.12.2016 Birgit - Matavenero

Birgit steht am Fenster des Kleiderhauses des Dorfes Matavenero, der Ropa Común. Hier hängen und liegen die Sachen aus Kleiderspenden, Überflüssiges und Liegengebliebenes von Touristen, Sachen aus denen Kinder rausgewachsen sind. Dieser Platz am Fenster des Kleiderhauses ist die einzige Stelle im Ort, an dem ihr Handy funktioniert. Jeden zweiten Tag tritt sie so in Kontakt mit ihrem alten Leben. Erfährt was von dem Menschen, der 25 Jahre lang ihr Lebensmensch gewesen ist und von den mittlerweile erwachsenen Söhnen, die nicht mehr zuhause leben.

Birgit macht sich keine großen Gedanken, wie es sie hier her, ans Ende der Welt, verschlagen hat. Sie weiß sich geleitet und behütet von einer göttlichen Kraft. Nicht dass sie sie immer gleich erkennen kann. Oft stellt sich im Nachhinein heraus, dass etwas zu einem ganz anderen Zweck gedient hat, als ursprünglich angenommen. Aber immer hat alles seinen Sinn.

So hatte sie fast ein Jahr auf dem Lichthügel in Thüringen gelebt, damals, als die Kinder sie nicht mehr so sehr brauchten und die Ehe mehr und mehr erkennen lies, dass diese Phase ihres Lebens zu Ende ging. Mit Pferd und Hund und ihren Sachen war sie mit Michael zusammen gezogen und sie hatten begonnen, den Lichthügel aufzubauen. Dutzende Bäume wurden gepflanzt, der Garten angelegt, Kompost angesetzt. Täglich zu den Mahlzeiten hat sie Kräuter gesammelt, die es in Garten, Feld und Wald reichlich gab. Sie war auf der Suche nach einer neuen Aufgabe in ihrem Leben, nachdem das Haus gebaut und die Kinder erwachsen waren.

Michael fand, dass sie sich sehr zur Heilerin eignet und der Gedanke hatte ihr gut gefallen. Wie zur Bestätigung durch die Vorsehung, dass der Gedanke richtig war, wurde ihr die Möglichkeit eröffnet, eine zweieinhalbjährige Ausbildung zur Heilpraktikerin in einer Internatsschule mit sehr gutem Ruf zu absolvieren. Birgit war eine sehr gründliche Frau. Sie stürzte sich genau so gründlich auf das Lernen aus medizinischen Büchern und erlernen von Heilmethoden, wie sie vorher zusammen mit ihrem Mann ihr Haus gebaut, ihren Haushalt geführt, ihren Garten gestaltet, ihre Kinder erzogen und ihre Tiere abgerichtet und gepflegt hat. Es stellte sich heraus, dass Michael von der Vorsehung einfach die Aufgabe erhalten hatte, sie auf dem Weg zur Heilerin zu unterstützen.

Nach der Ausbildung hatte sie eine Weile recht erfolgreich eine Praxis als Heilpraktikerin und Ernährungsberaterin geführt. Hat die besten Heilmittel und Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt gefunden und die besten Heilmethoden. Die sehr gründliche Birgit glaubte daran, dass es darauf ankam alle Stoffe aus denen der Mensch besteht in der richtigen Form und im richtigen Verhältnis zueinander zuzuführen. Und es funktionierte, der Erfolg gab ihr recht!

Wie immer strebte Birgit nach Perfektion, hat sich schier Tag und Nacht fortgebildet, lernte selbst beim Hundespaziergang und war jederzeit für ihre Patienten erreichbar. Bis - der Körper streikte. Es ging so nicht mehr weiter

Als Fingerzeig des Schicksals stieß sie auf eine Anzeige: „Biete eine Mitfahrgelegenheit in das ökologische Bergdorf Matavenero in Nordwest-Spanien, nahe dem Jakobsweg.“ - Und hier war sie!

Matavenero, 1000m hoch gelegen, wurde 1989 von Aussteigern und Hippies gegründet auf den Ruinen von zwei bereits 30 Jahre vorher verlassenen Bergdörfern. Es gab keine Straße.

Alles Material war mit Eseln und Pferden den Berg hoch geschleppt worden. Mittlerweile gabt es eine Seilbahn, die Vieles erleichtert. Die Zahl der Einwohner schwankte so zwischen 50 und 120.

Derzeit leben 82 Menschen da, davon 27 Kinder. Es gibt einen Kindergarten und eine Schule. Lehrer ist jeder, der das kann und will.

Das Dorf ist als offizielle spanische Gemeinde anerkannt.

Ulmen, Steineiche und Pappeln stehen am Flussufer. Im Garten gedeihen Tomaten, Salate, Zwiebeln, Erbsen und Bohnen, alles sehr schmackhaft und abwechslungsreich. Es werden Nussbäume und Esskastanien kultiviert. Die heimischen Tierarten reichen vom Wolf bis zum Wildschwein und die klassischen Heilkräuter wie Brennnessel, Ringelblume, Johanniskraut, Schafgarbe, Beinwell… sind alle auch zu finden.


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#17 von petias , 17.12.2020 09:52

17.12.2016 Birgit – Epigenetik

Birgit joggte jeden Tag. Heute lief sie durch die zauberhafte Landschaft rund um Matavenero. 3000 ha Land gehörten zur jetzt von den staatlichen Stellen anerkannten Gemeinde. Aufgrund ihrer jahrelangen Beschäftigung mit Naturheilkunde in Theorie und Praxis - sie hatte erstaunliche Dinge gesehen - war sie überzeugt, dass jedem Lebewesen gewaltige Selbstheilungskräfte innewohnten. Lange hatte sie das Geheimnis ihrer Aktivierung darin gesehen, den Organismus bestens mit Mikronährstoffen zu versorgen und regelmäßig zu entgiften. Dabei argumentierte sie, wie das die Hersteller von Mikronährstoffpräparaten, Entgiftungskuren und Wasserfiltern gerne tun, mit den Forschungen des Nobelpreisträgers Dr. Alexis Carrel: Er erhielt Zellkulturen aus Zellen von Hühnerherzen über mehrere Jahrzehnte hinweg am Leben, indem er dafür sorgte, dass sie in optimaler Nährflüssigkeit lagen und die Giftstoffe zuverlässig abtransportiert wurden. "Gestorben" sind die Zellen dann letztlich nicht an Altersschwäche, sondern weil das Laborpersonal vergessen hatte, sie zu versorgen!

Solchen Ideen theoretischer Unsterblichkeit (zumindest unter Laborbedingungen,) wird in der wissenschaftlichen Diskussion die Bedeutung der Gene entgegengesetzt. Langlebigkeit sei eine Sache der Gene. Tatsächlich kann man den ältesten Menschen aus dem Guinness Buch der Rekorde nicht gerade eine perfekte Lebensweise nachsagen. So hörte Jeanne Calment mit 116 Jahren das Rauchen auf, weil sie so viel husten musste. Sie wurde 122,5 Jahre alt.

Die Italienerin Emma Morano aß seit ihrem 20. Lebensjahr jeden Tag zwei rohe Hühnereier und meist noch ein gekochtes in der Form von Omelett oben drauf. Das summierte sich bis zu ihrem 117. Lebensjahr auf mehr als 100000 Hühnereier.

Als Birgit vor einigen Monaten in Matavenero eingetroffen war, hatte sie dort den Pilger getroffen. Ein Wanderer, der sich ständig auf „Tour“ befand, aber immer wieder mal in diesem malerischen Bergdorf vorbeikam. Vor Jahren hatte er sich hier eine Hütte gebaut, einen Holzbau, rund, einer Jurte nicht unähnlich. Er hatte Birgit eingeladen in seiner Hütte zu wohnen. Der Wanderer war nach zwei Wochen Aufenthalt wieder weiter gezogen. Seitdem lebte sie in seiner Hütte. Sie waren sich sehr nahe gekommen und Birgit freute sich auf ein Wiedersehen. Weihnachten wollte er sich mit Freunden wieder hier treffen.
Er war ein erstaunlicher Mann. Sein Alter wollte er nicht sagen. Er lächelte nur mit einer Kopfbewegung, die ausdrücken sollte: das würdest Du wohl gerne wissen, aber ich sage es Dir nicht!“.
Sie führten stundenlange Gespräche. Nachts im Bett, tagsüber auf langen Spaziergängen. Birgit gewann den Eindruck von dem was er erzählte, dass er älter sein musste, als das überhaupt möglich war. Als sie über Thüringen sprachen, wo sie ja mit Michael ein Jahr gelebt hatte, erzählte er von den Buchenwäldern vor der Zeit des Abholzens für den unersättlichen Bedarf der Erzverhüttung. Die Buchen waren dann, aus Wirtschaftlichkeitsgründen, durch schneller wachsende Fichten ersetzt worden. Er berichtete darüber so, als ob er selbst durch diese längst abgeholzten Buchenwälder gewandert wäre. Manchmal dachte Birgit, der Pilger wäre mehrere 100 Jahre alt.

Er vertrat die Meinung, um gesund und leistungsfähig zu bleiben, brauche er das Leben des Wanderers, das Leben aus der Natur. Viele Jahrtausende waren der Mensch und seine Vorfahren nicht sesshaft, waren Sammler, manchmal und zeitweise auch Jäger, aber immer in Bewegung. Lebten aus den Reichtümern, die die Natur ihnen bot, wie auch die Pflanzen und wilden Tiere. Menschen sind Wanderer! Man muss sich doch nur die langen Beine ansehen. Der halbe Körper sind Beine. Der Mensch ist ein Läufer!

Erst vor ca. 10000 Jahre begannen die Menschen sesshaft zu werden und Nahrung mehr und mehr zu produzieren, statt sie zu sammeln und zu pflücken. Eine viel zu kurze Zeit, um sich auf das auszuwirken, was einen Menschen wirklich ausmacht.

"...Um sich auf die Gene auszuwirken", übersetzte Birgit für sich. Tagelang verbrachte sie daraufhin in Internet- Kaffees und Bibliotheken und befasste sich mit den Erkenntnissen der Epigenetik:
Unsere Gene sind kein Schicksal! Neben Nahrung und Lebensstil wirken auch unser Bewusstsein gebildet durch Überzeugungen, Absichten, Meditation, Visionen, positives oder negatives Denken auf unseren Körper ein, bis in die Gene! Jedes Gen verfügt nämlich über „Schalter“, mit denen wir es oder Teile davon an- oder abschalten können. Mittels unserer Gedanken und Gefühle, unserer Lebensweise. Nicht die „unveränderlichen“ Gene bestimmen unsere Persönlichkeit, unsere Krankheitsrisiken und Potentiale, sondern außergenetische Faktoren, die wir selbst steuern können!


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#18 von petias , 18.12.2020 00:00

18.12.2016 Der Pilger und sein Schützling

Eine höchst ungewöhnliche Szene spielte sich ab an diesem Sonntagvormittag, hier mitten im Wald, weit ab von Haus oder Ansiedelung. Von Ferne riefen Kirchenglocken die Gläubigen zur Sonntagsmesse.
Gestalten in Motoradkleidung und Helm waren von ihren Enduros gestiegen und bewegten sich, mit Schlagstöcken, einer Motoradkette und einem Messer bewaffnet auf einen Mann zu. Der stand mit dem Rücken zum Felsen auf seinen Stab gelehnt da und betrachtete regungslos die fünf bedrohlich näherkommenden Angreifer. Die Motoren der kleinen Geländemaschinen tuckerten im Leerlauf.
Er war gekleidet wie ein Pilger aus alten Erzählungen. Bequeme, feste Wanderschuhe, unter der dunklen verwaschenen Lodenkotze mit undefinierter Farbe waren Gamaschen zu sehen, die verhinderten, dass die Hosenbeine und die Oberseite der Schuhe nass wurden, beim Laufen durch Gras und Unterholz. Auf dem Kopf ein Schlapphut aus Filz und auf dem Rücken ein Stoffrucksack beide von ebenso undefinierbarer Farbe wie die Kotze. An den Rucksack war eine Decke geschnürt.
Er wirkte eher wie eine Statue, ein Denkmal, als ein lebender Mensch. Doch, als der erste Stock auf ihn herabzusausen drohte, kam Bewegung in die Statue. Das obere Ende des Wanderstabes schlug dem ersten Angreifer so hart an das Handgelenk, dass der Stock, den sie hielt, in hohem Bogen davon flog. Die untere Seite des Stabes traf den zweitnächsten Vermummten in einer Drehbewegung hinten am Genick und warf ihn, den Schwung des Angriffes ausnützend, zu Boden. Pilger und Stab wirbelten noch einen kurzen Augenblick durch die Luft und kehrten dann in die Ausgangslage zurück.
Das Pilgerstandbild blickte stumm, als sei gar nichts gewesen in den letzten drei Sekunden, auf die fünf Vermummten Gestalten, die allesamt am Boden lagen. Die sammelten sich, wie vom Blitz getroffen irgendwie zusammen und dachten nur noch daran, wie sie auf ihre Maschinen kamen und fort von hier.

Einige Stunden später, die Nacht war nicht mehr weit, bewegten sich der Pilger und noch ein Mann, Ende vierzig, durch die Schlucht. Da war nur der Bach, der Weg und Felsen. Der Pilger hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Begleiter unbemerkt an die Küste zu bringen. Aber sie mussten sich beeilen. Deshalb nahmen die beiden Männer das Risiko in Kauf, die zwei Kilometer durch die enge Schlucht zu gehen, ohne eine Möglichkeit sich zu verstecken, so wie der Pilger seinen Schützling im Gebüsch versteckt hatte, kurz vor dem Zwischenfall mit der Motoradgang.

Der andere Mann war wie ein normaler Wanderer gekleidet in moderner Funktionskleidung und mit Treckingrucksack, Schlafsack und Isomatte ausgerüstet. Er wirkte weit weniger sicher und vertraut mit dem was er da tat als der Pilger.
Wie schon erwartet und befürchtet, kamen Motorengräusche auf die beiden Wanderer zu. Erst von Norden, nach einer Weile auch von Süden. Die beiden Trupps bewegten sich ganz langsam, die Schlucht gründlich, Meter für Meter absuchend, mit lichtstarken Scheinwerfern ausleuchtend, so dass trotz der heraufziehenden Dämmerung nichts verborgen bleiben konnte.
Der Pilger nahm dem anderen Mann den Rucksack ab und legte ihn zusammen mit seinem eigenen Bündel nahe an der Felswand auf den Boden. Er packte seine Decke aus und breitete sie über das Gepäck. Dann setzte er sich drauf und zog seinen Begleiter neben sich. Er legte seinen Arm um ihn und nahm ihn bei der Hand. „Schließe die Augen und stell Dir vor, Du wärst unsichtbar. Auf keinen Fall die Augen öffnen und keinen Mucks!“ Der Pilger deckte die Lodenkotze über sich und seinen Begleiter und schloss ebenfalls die Augen. Die Fahrzeuge und die Scheinwerfer kamen näher. Nicht lange, und die beiden Männer merkten an der Helligkeit, die durch die geschlossenen Augenlider drang, wie das Licht der Scheinwerfer über sie hinweg glitt. Nichts geschah! Als die beiden Suchtrupps aufeinanderstießen, nicht weit entfernt von ihnen, hörten sie eine Weile die Stimmen der Suchenden, bevor diese mit ihren Fahrzeugen wieder abzogen. Sie waren nicht entdeckt worden!


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RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#19 von petias , 19.12.2020 00:01

19.12.2016 Der Pilger und sein Schützling

Sie hatten nicht viel geschlafen letzte Nacht und kaum miteinander gesprochen. Dafür waren sie viel gelaufen. Der Begleiter des Pilgers glaubte jedes Glied und jede Muskelfaser einzeln zu spüren. Er war Wissenschaftler, sein Platz war das Labor und nicht der Wald. Noch dazu im Dezember!

Man musste nicht Wissenschaftler sein, um einen Sack an Fragen zu haben, nach dem Vorfall gestern. Wieso hatten die Schergen der Chinesen sie nicht gefunden?

„Findest Du nicht, Du schuldest mir eine Erklärung?“, fragte er schließlich. „Sie haben uns nicht gesehen, obwohl sie uns direkt angeleuchtet hatten. Doch nicht, weil wir die Augen geschlossen haben und uns vorstellten, wir wären unsichtbar?“
„Aber ja“, antwortete der Pilger nach einer Weile. „Warum sonst? – hast Du noch nie mitbekommen, dass Kinder die Augen schließen beim Versteckspiel und denken, sie seien unsichtbar?“ –
„Aber sie sind es nicht, das ist doch mein Punkt!“, warf der Begleiter ein. –
„Nicht mehr!“, erklärte der Pilger weiter. Die Kinder haben noch den Reflex aus früheren Tagen, ohne den die Menschen wohl nicht überlebt hätten, diese unbewaffneten, langsamen, felllosen Kreaturen, die wir sind. Wir haben es mit der Entwicklung der Zivilisation im Laufe der Jahrtausende verloren. Alles was nicht regelmäßig benutzt wird, verkümmert, wird abgeschaltet!“
„ Und wieso hat es dann gestern funktioniert? Bist Du ein Außerirdischer oder ein unentdecktes Fabelwesen?“ Der Begleiter sah den Pilgern fast ehrfürchtig an. –
„Nein, ich lebe nur schon sehr lange anders. Immer auf Wanderschaft, immer draußen in der Natur. Diese Fähigkeiten scheinen nicht endgültig verloren zu gehen. Sie werden nur abgeschaltete. Mit der Zeit können sie, bei Bedarf und bei Geschick, wieder aktiviert werden.“
Der Pilger schien es ganz allgemein vor sich hin zu sagen, zu niemandem im Besonderen.

„Gut, sagen wir mal, ich nehme Dir ab, dass Du das kannst“, hakte der Begleiter nach. „Aber ich und unsere Rucksäcke und Kleidung hätten doch gesehen werden müssen?“ –
Der Pilger räumte ein: „Ich kann das nicht so genau erklären. Es sind mehr Erfahrungswerte. Die Fähigkeit der Unsichtbarkeit überträgt sich nicht auf die Sachen, die Du anhast und trägst. Aber auf meine Sachen schon. Auch auf Menschen, die ich anfasse, scheint es zu wirken. Alles im Zusammenhang mit dem Aussenden der Botschaft mittels Gedanken, dass man unsichtbar ist, dass einen das Gegenüber nicht sehen wird. Da läuft auch was auf der geistigen Ebene ab. Ich nehme es, wie es sich mir bietet!“ –
„Kannst Du auch Gedanken lesen?“ -
Der Pilger lächelte nur leicht und sagte nichts.

„Wieso nennst Du Dich ‚der Pilger‘, hast Du keinen Namen?“ –
„Doch, ich habe einen Namen, aber ich trete hier auf, als ‚der Pilger‘. Kennst Du die Geschichte von der Braut des Prinzen, den ‚grausamen Piraten Roberts‘? Der echte Roberts hatte sich längst zurückgezogen und an seine Stelle war ein anderer getreten. Und an dessen Stelle wieder ein Anderer, und so fort. Der Name war eine Institution. War nicht mehr an den ursprünglichen Träger gebunden. Vor einem ‚Grausamen Piraten Roberts‘ hatte jeder Angst. Das ersparte meist den Kampf. Vor einem ‚Piraten Westley‘ hätte niemand Angst gehabt.

Genauso bin ich hier in dieser Gegend ‚der Pilger‘ es gibt auch Pilger in anderen Gegenden. Die Pilger sind die Verbindung der ewigen Wanderer, manche nenne sie ‚die Uris‘ andere ‚die Touris‘, zur Zivilisation. In den meisten Kreisen der Bevölkerung ist das alles völlig unbekannt. In manchen Kreisen jedoch, unter den Wanderern und denen, die sich draußen in der Natur bewegen, ist ‚der Pilger‘ ein Begriff. Manchmal ist auch ein Anderer ‚der Pilger‘ und ich habe Urlaub. Der Pilger lächelte.

Dann nahm er den Kopf seines verdutzten Begleiters zwischen seine Hände und hielt ihn eine Weile fest.

„Das ist aber ein angenehmes Gefühl“, dachte Friedrich Schuller und er hatte keine Fragen mehr. Er wusste noch nicht einmal, dass er etwas gefragt hatte. Und - seine Glieder taten ihm längst nicht mehr so weh.


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RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#20 von petias , 20.12.2020 09:05

20.12.2016 Lichthügel

„Wir müssen dringend die Toilette leeren“, sagte Ada beim Frühstück. „Weiß jemand wie das geht?“
„Steht mit Sicherheit in Opas ‚Bedienungsanleitung‘“, antwortete Evi. Sie stand auf und holte das Buch an den Tisch und begann drin zu blättern.

Das Klo mit Wasserspülung, meint Opa, ist eines der vielen Irrwege der menschlichen Zivilisation. Da werden mit einem Kilo Scheiße 1000 Liter Trinkwasser verunreinigt, anstatt daraus 50 Gramm beste Komposterde entstehen zu lassen. Klar, dass es auf dem Lichthügel eine Komposttoilette gibt. Eigentlich mehrere, aber konzentrieren wir uns mal auf die im Haus. Das ist ein edles Modell aus Schweden, wo Alternativen zur Spültoilette viel weiter verbreitet sind, als bei uns. Es sieht einem WC (Water Closet) recht ähnlich, weiß, aus Kunststoffteilen, die gut zu reinigen sind. Mit normaler Brille und Deckel, nur eben ohne Spülung.
Wenn man den Deckel hebt, bleibt die Sicht auf den Eimer im Inneren erst mal verdeckt. Erst wenn man sich auf die Brille setzt, wird eine Sichtschutzscheibe mechanisch zur Seite geklappt. Beim Aufstehen schließt sie sich wieder. Gleichzeitig dreht jeder Druck auf die Brille den Kübel ein kleines Stück, so dass er gleichmäßig gefüllt wird. Ein solarbetriebenes Gebläse saugt den Gestank durch ein Rohr nach draußen. Flüssiges und Festes wird getrennt. Der Gestank klassischer Plumpsklos entsteht vor allem dadurch, dass Flüssiges und Festes sich vermischt. Bei dem „Separett“ aus Schweden wird das Flüssige abgeleitet. Entweder in die Kanalisation, die Klärgrube oder einem separaten Behälter, der mit Wasser im Verhältnis 1:15 verwirbelt, in den Garten ausgebracht werden könnte.

Aus dem Urin kann man Salpeter gewinnen. Z.B. zur Herstellung von Sprengstoff (Schießpulver) oder als Dünger für den Garten. Dazu verrieselt man den Urin über eine Kalkwand. Dabei entstehen mit der Zeit weiße Ausblühungen, die man abkratzen kann und mit Pottasche vermischt in einer Sudpfanne kocht. Könnte der Salpeter nicht mehr aus Chile oder dem Südpazifik (Guano) importiert werden, müsste man die Kunst der Salpeterer wieder aufleben lassen, die bei uns auf diese Weise Salpeter gewonnen hatten.

Den Kübel in dem die festen Ausscheidungen landen, kann man durch aufklappen der Toilette auswechseln. Auf Wunsch kann der Kübel mit einer kompostierbaren Einlage ausgekleidet werden. Ablagerungen bei den flüssigen Ausscheidungen wirkt ein biologisch abbaubarere Urinstein vor. Der Eimer wird auf einen speziellen Kompostplatz entleert und vermischt mit anderen organischen Abfallstoffen kompostiert. Solange nicht sichergestellt werden kann, dass der Komposthaufen genügen warm wird, sollte dieser Kompost zur Vermeidung eines Erregerkreislaufes nicht zur Düngung der Pflanzen verwendet werden, die von Menschen gegessen werden.

Zum Glück kam Gerald gegen Mittag von seinem Besuch bei den Eltern zurück und hatte noch ein paar praktische Tipps für das ausleeren der Komposttoilette. Am Abend erzählte Gerald von seinem Besuch und man begann, die Wandertour zu planen, in deren Verlauf sie Michael treffen sollten. Ausrüstungsgegenstände mussten zusammengesucht, Rucksäcke gepackt und Wanderschuhe gefettet werden. Ein Wenig Geld für die Reise war auch von Nöten. Gerald erzählte, dass Michael immer einen Notgroschen für Zeiten, in denen kein Geld mehr aus Automaten kommen würde, warum auch immer, in Haus und Hof versteckt hatte. Einen 50€ - Schein pro Versteck, zu dem beispielsweise ein kleines Gedicht hinwies:

Erweiset mir die große Güte,
seht in die Sonnenaufgangshüte.
Von unten auf der Nachbarsmauer,
liegt eine Dose auf der Lauer.


Gerald gab noch ein paar Tipps: Es gibt keine Sonnenaufgangshüte, aber eine Sonnenaufgangshütte, nämlich die, in der er schlief. Die Nachbarsmauer war die linke Fundamentmauer, denn andere Mauern gab es nicht in der Hütte und nur auf der linken Seite gab es Nachbarn auf der rechten Seite folgten Wiesen und Wald. Das Geld befand sich dann in einer Blechdose, die auf der linken Fundaments- Mauer (Blick auf den Eingang) unter dem Fußboden der Hütte lag.


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RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#21 von petias , 21.12.2020 18:56

21.12.2016 Garcia

Nicht weit entfernt von seiner Kanzlei, in der Nähe des Isartores, Garcia war schon oft auf dem Weg zur Arbeit daran vorbeigekommen, gab es den „Globetrotter“, ein mehrstöckiges Kaufhaus für Outdoor Ausrüstung.
Bisher hatte ihn das nicht weiter interessiert. Zelten oder was immer mit Outdoor- Aktivitäten gemeint war, war nicht so sein Ding. Alberta, seine Frau, wäre da aufgeschlossener gewesen. Aber sie hatte auch keine Einwände im Urlaub und auf Geschäftsreisen in gehobenen Hotels zu wohnen.
In Michaels Brief stand die Empfehlung, statt in der Kaufhauskette „Globetrotter“ vielleicht lieber zu „Lauche und Maas“ nach Pasing zu fahren, aber wozu der Aufwand, wenn der „Globetrotter“ praktisch in der Nachbarschaft war. Alfredo fuhr die Rolltreppe hoch in den ersten Stock. Schlafsack, Rucksack, Isomatte, Outdoorkleidung und diverse Accessoires standen auf seiner Liste.

Das Treffen mit dem Anwalt der Chinesen war recht positiv verlaufen. Sie hatten einen Vertrag ausgehandelt, in dem Ling Chang bzw. der Konzern, dem er vorstand auf die Ansprüche aus dem Projekt „Ewiges Licht“ verzichtet. Im Gegenzug übernahm er die Rechte an den Windgeneratoren der Energie Unlimited Ltd. Die war damit ihre Verbindlichkeiten los, hatte aber auch keine Geschäftsgrundlage mehr und würde liquidiert werden. Ein sauberer Schnitt! Die Vertragsunterzeichnung war heute Morgen gewesen. Der gegnerische Anwalt hatte offensichtlich grünes Licht bekommen von Ling Chang, der wohl die Hoffnung, doch noch Infos über „Ewiges Licht“ zu erhalten aufgegeben hatte. Eine gute Entwicklung!

„Daune oder Kunstfaser?“, fragte der Berater, wie hier die Verkäufer genannt wurden. Er hatte ihn gebeten ihm einen Schlafsack zu verkaufen. „Was ist denn da der Unterschied?“
Kunstfaser ist billiger, hat ein größeres Packvolumen im Vergleich zur Daune und ist zumindest am Anfang der Reise schwerer. Allerdings, beim Wandern in feuchter Umgebung, bekommt die Daune von Tag zu Tag mehr Gewicht. Der Morgentau bringt eine gewisse Feuchtigkeit mit sich. Wenn man dann Mittag den Schlafsack nicht eine Stunde oder zwei in die Sonne zum Trocknen legt, bleibt die Feuchtigkeit in den Federn. Kunstfaser ist robuster und nimmt die Feuchtigkeit nicht auf. Zudem ist da noch der ethische Aspekt. Das hatte nicht der Berater gesagt, sondern das stand in Michaels Brief. Die Daunen sind ein Produkt der Massentierhaltung!

Beim Wandern spielt das Gewicht eine große Rolle. Natürlich ist ein Schlafsack schwerer, wenn er für sehr kaltes Wetter geeignet ist. Michael hatte ihn gewarnt, dass die Temperaturangaben an den Schlafsäcken sehr irreführend wären. Die Temperaturangaben bei Schlafsäcken müssen einer EU- Norm EN 13537 entsprechen. Da gibt es drei Temperaturangaben. Der erste Wert ist „T comf“. Dafür wird eine Standard Frau angenommen (25 Jahre alt, 60kg schwer, 1,60m groß), die bei dieser Temperatur gerade noch nicht friert. Michael schreibt, er hätte auf seinen Reisen noch nie eine Frau getroffen, die bei der angegebenen Temperatur nicht gefroren hätte. Wahrscheinlich dienen die Temperaturangaben dazu, den männlichen Begleitern der Frauen die Möglichkeit zu geben, sie in der Nacht zu wärmen.

Die 2. Temperatur (T lim) bezieht sich auf einen Standardmann. Die dritte (T ext) bezieht sich wieder auf die Standard- Frau, und beschreibt eine Temperatur, bei der diese gerade noch nicht erfriert.

Michael empfahl für den anstehenden Zweck einen T comf von -10. Und für Alberta einen von -15.

Es dauerte 3,5 Stunden und kostet weit über 1500€, bis Garcia seine Wanderausrüstung zusammen hatte.


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RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#22 von petias , 22.12.2020 17:27

22.12.2016 Rainbow Gathering

WELCOME HOME stand auf einem großen Banner zum Eingang des Platzes. Schon seit einigen Kilometern gab es immer wieder Hinweisschilder auf das Rainbow-Treffen, das der Ausgangspunkt der Wanderung sein sollte.
Gerald, Evi, Ada und Klaus waren mit dem BMW von Klaus, vollgepackt mit Wandergepäck hier her gefahren. Auf dem Parkplatz gab es teils abenteuerliche Gefährte. Man konnte gut sehen, dass die Rainbow- Bewegung aus der Hippie- Zeit entstanden ist.

Das Veranstaltungsgelände war eine große Wiese am Waldrand, an dem ein Bach entlang floss. Es gab einen Zeltplatz, mit überwiegend kleineren Zelten und einige große Gemeinschaftszelte, aus mehreren (Zelt-)Planen zusammengesetzt. Da gab es ein Versammlungszelt für die sogenannten Circles. Gerald hatte schon während der Fahrt über diese Rainbow-Treffen erzählt:
Zweimal am Tag gibt es einen Food- Circle, wobei alle, die das wollen, sich im Kreis zusammensetzten und von den Speisen essen, die herumgereicht werden. Aber wer Hunger hat, kann sich auch zu jeder anderen Zeit im Küchenzelt bedienen. Das Gemeinschaftserlebnis steht bei den Food- Circles im Vordergrund. Daneben kann es auch noch weitere Circles geben, die im Grunde jeder einberufen kann. Es gibt keinen Zwang, ja noch nicht einmal Mehrheitsentscheidungen. Alles wird bis zur Klärung ausdiskutiert. Manches bleibt einfach offen. Bei Bedarf geht der „Magic Hat“ durch die Reihen. Jeder der will und kann legt dann etwas Geld hinein, um z.B. das Budget aufzufüllen, mit dem Essen gekauft wird. Auch das ist natürlich freiwillig. Neben den Circles werden noch verschiedenen Aktivitäten angeboten, die auf Plakaten angekündigt werden. Etwa Yoga, Reiki, Massagen, Schwitzhütte, Temple of Love und was immer sich jemand ausdenken mag.

Eine wichtige Einrichtung ist die „Shit Pit“. Ein Graben, in dem man seine Notdurft entrichten kann. Diese wird mit etwas Erde aus dem Aushub abgedeckt.

Die Wasserentnahme und das Waschen erfolgt am Bach. Wird ein solches Rainbow- Treffen geplant, werden Scouts vorangeschickt, die einen geeigneten Platz suchen und vom Besitzer pachten. Es ist manchmal gar nicht leicht, einen geeigneten Ort zu finden.
Dieses Rainbow-Gathering hatte eine Besonderheit. Es war ein Raw Food Rainbow, ein RawBow. Da gab es nur rohes (raw) Essen.
Als die vier vom Lichthügel ankamen, erlebten sie gerade noch das Ende eines Circles mit. Die Leute standen im Kreis, hielten sich an den Händen und sangen eines der unzähligen Railbow- Lieder:

Give thanks to the mother Gaia,
give thanks to the father sun,
give thanks to the flowers in the garden,
where the mother and the father are one


und noche eins:

I find my joy in the simple things;
find my joy in the sun that shines and
the water that sings to me.
Listen to the wind and listen to the water.
Hear how they call.
With a heya, heya, heya, heya, heya, heya-ho.
With a heya, heya, heya, heya, heya, heya-ho.
Let me never forget, never forget, to give thanks,
give thanks, give thanks, give thanks, and praise.
With a heya, heya, heya, heya, heya, heya-ho.
With a heya, heya, heya, heya, heya, heya-ho.


Dann brachen sie zur Wanderung auf. Es wurde Zeit, wollte man heute noch ein Stück des Weges zurücklegen. Pünktlichkeit und Disziplin war nicht gerade eine Tugend in der Rainbow Bewegung. Der Starttermin einer Wanderung, die aus einem Rainbow- Gathering heraus beginnt, konnte schon mal als „Dienstag oder Mittwoch“ beschrieben sein. So gesehen hatten unserer vier Wanderer Glück.
Wären sie zu spät gekommen, hätte es Zeichen am Boden gegeben, etwa Äste oder Steingruppen in Pfeilform, die bei Wegegabelungen die Richtung zum Tross anzeigten.


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#23 von petias , 23.12.2020 09:29

23.12.2016 Raw food walk about

Gestern Abend wurde etwa eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit „Camp gemacht“. Klaus und Evi hatten je ein Zelt im Rucksack, das sie im Lichthügel gefunden hatten. Geralds Rucksack wog nur fünf Kilo. Als erfahrener Wanderer wusste er, worauf es bei der richtigen Ausrüstung ankam. Er hatte zeitweise mit Evi Rucksack getauscht, denn ihrer wog ca. zehn Kilogramm. Das war noch einigermaßen komfortabel zu tragen mit einem guten und richtig eingestellten Rucksack, aber ein halb so schwerer, bei dem das Tragesystem wenig Bedeutung hat, weil man sein Gewicht ohnehin kaum spürt, ist eine deutliche Steigerung in Sachen Wandergenuss. Durch diese Tauschaktion sind sie zwangsläufig meist nebeneinander gelaufen und haben viel geredet. Beide fanden es sehr interessant, was der Andere so zu erzählen hatte.

Gerald spannte nicht weit von Evis Zelt sein Tarp unter einen Baum. Der anbrechende Tag fand ihn aber im Zelt von Evi und die beiden wärmten sich gegenseitig an diesem kühlen Morgen nach einer kalten Dezembernacht.

Auch viele der anderen Wanderer hatten mit der Kälte zu kämpfen. Einige fachten das Lagerfeuer wieder an, gingen mit der Taschenlampe Holz suchen, um nicht zu sehr zu frieren. Ein besonders gut ausgerüsteter Wanderkollege versuchte es mit einer Hängematte, aber Meenhard, der Organisator der Wanderung, Gerald kannte ihn gut von früheren gemeinsamen Wanderungen, klärte ihn schnell auf. Hängematten waren bestenfalls bis etwa 8 Grad über Null geeignet. Darunter waren sie zu kalt. Mit einer Isomatte am Boden war man da bedeutend besser dran.

Am Morgen wurde das Camp wieder abgebaut. Einige wuschen sich mit am Feuer in einem Kessel erwärmtem Wasser, andere ließen es einfach mal ausfallen. Auch bei den Wanderungen gab es einen Circle zum Morgen vor dem Frühstück.
Mit dem „Gruß an die Sonne“, ein Yoga- Figurenablauf, wurde gemeinsam der neue Tag begrüßt.

Gegen Abend stieß Michael zu der Gruppe oder besser, die Gruppe stieß auf Michael. Er wartete auf sie mit einem lodernden Lagerfeuer an einem Platz, der sich gut als Nachtlager eignete.
Es gab eine herzliche Begrüßung! Klaus und Evi hatten natürlich zahllose Fragen an ihren Opa und der konnte einige davon beantworten. Mit Fragen zu ihrem Vater vertröstete er sie auf den morgigen Tag. Er bot ihnen an, wenn sie wollten, im Lichthügel zu wohnen. Evi konnte in der nahe gelegenen kleinen Stadt mit einem ganz passablen Gymnasium ihr Abi fertig machen. Aber auch die Beendigung der Schule in Spanien, wenn auch nicht in dem teuren Internat, war eine Option. Klaus konnte, wenn er wollte in Jena studieren und auch auf dem Lichthügel wohnen. Ada würde eine Stelle als Krankenschwester finden, denn das war ihr Beruf. Auch in Thüringen, wo sonst die Jobs auf dem Lande meist dünn gesät waren, waren Pflegeberufe unterbesetzt. Auch eine Weiterbildung war denkbar.

Als Finanzquelle bot sich Michaels Rente an und Bafög z.B. Wenn man die Möglichkeiten des Lichthügels nutzt, braucht man nicht viel, wäre das Geld kein Problem.

Am Lagerfeuer war es recht gemütlich. Allerdings musste man sich öfter mal umdrehen. Die dem Feuer zugewandte Körperseite wurde schnell heiß, die abgewandte Seite aber genauso schnell kalt. Klaus hatte seine Gitarre mitgebracht und Meenhard seine Ziehharmonika. Einem lustigen Liederabend stand nichts im Wege. Alle waren so eifrig bei der Sache, dass es gar nicht aufgefallen war, dass Michael schon eine Weile fehlte.

Gegen 19 Uhr kam Michael wieder, mit einem Mann Ende vierzig im Schlepptau, den er vom nächstgelegenen Bahnhof abgeholt hatte. Der trug eine Wanderausrüstung, die offensichtlich direkt aus dem Laden kam. Nur Klaus kannte den Mann. Es war Alfredo Garcia!


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RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#24 von petias , 24.12.2020 00:05

24.12.2016 Familientreffen

Nach dem „Morning Circle“ teilte sich die Gruppe. Ada, Evi, Klaus, Gerald, Alfredo und Michael verabschiedeten sich von Meenhard und den Anderen und nahmen den Fußweg nach Matavenero. Ein schmaler holpriger Pfad, ungeeignet für Autos. Nach gut zwei Stunden erreichten sie das Dorf, locker bebaut mit teils abenteuerlichen Gebäuden.

Michael führte sie zu einer runden Hütte, die schon von außen weihnachtlich geschmückt war. Das setzte sich im Inneren fort, mit Fichten und Tannenzweigen, blühenden Barbarazweigen und einem Petterson und Findus Christbaum, an dem Geschenke hingen. Michael erkannt sofort die Hand Birgits, eine ausgemachte Weihnachtsliebhaberin. Auf einem der Sitzpolster. die um die Feuerstelle herum im Raum aufgestellt waren, saß Fritz, der Papa von Klaus und Evi, der Sohn von Michael. Welch eine Freude! Minutenlag lag man sich in den Armen, stellte sich und einander vor, lachte, fragte, schüttelte den Kopf, zuckte mit den Achseln. Auch Evi freute sich, ihren Vater wieder zu sehen.
Nach etwa einer halben Stunde, der Tumult hatte sich etwas gelegt, kamen Birgit und der Pilger herein. Sie brachten Feuerholz mit und es gab eine zweite, nicht ganz so enthusiastische Begrüßungs- und Vorstellrunde.

Nach dem Essen entwickelte sich eine Fragestunde, in der jeder vorbrachte, was ihn bewegte und in der Regel auch eine mehr oder weniger befriedigende Antwort erhielt.

Fritz hatte sich mit seinen Forschungen verschuldet und wandte sich mit einem ersten Produkt in freier Energie, einer Energiequelle die über eine schier unbegrenzte Zeit eine kleine Menge an Energie liefern konnte, an eine chinesische Firma. Aber das war zu blauäugig gewesen. Die wollten das Ding nicht einfach in Uhren oder Herzschrittmacher einbauen, sondern erkannte bereits an dem Prototypen, den Fritz ihnen zur Verfügung gestellt hatte, das Potential dieser Entwicklung. Beim Versuch diesen Prototypen zu analysieren gab es einen Unfall, bei dem ein Forscher eine Hand verlor und das Gerät zerstört wurde. Fritz und Garcia dämmerte es, dass sie dabei waren, die Büchse der Pandora zu öffnen. Die verrücktesten, gefährlichsten, unsinnigsten Geräte würden gebaut und in Massen verteilt werden. Es würde nicht fast kostenlose Energie in die Hütten der Ärmsten dieser Welt bringen, sondern nur Reichtümer in die Kassen derer, die die Möglichkeit hatten diese Geräte zu vertreiben. Der Verbrauch an den Ressourcen unserer Erde würde sich vervielfachen. Der Mögliche Verzicht darauf, fossile Energie zu verbrauchen, würde den ins Gigantische gesteigertem Verbrauch an Rohstoffen für all die Güter und Produkte auslösen, die damit betrieben werden sollten.
Die Zeit war nicht reif dafür. Es galt nicht, den Verbrauch an Gütern zu beflügeln, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit von Konsumbeschränkung, aber auch die Freude und Erfüllung die aus der Bescheidenheit erwächst.

Es war unvermeidlich, dass die Firma, die Möglichkeiten erkennend, niemals nachgelassen hätte, die Erfindung in ihre Hände zu bringen. Andere wären gefolgt. Also inszenierten Alfredo und Fritz den großen Showdown. Überhastet. Aber anscheinend überzeugend.

Michaels Kontakt zum Pilger ermöglichte es, dass Fritz verschwinden konnte. Er würde ihn jetzt für eine Weile nach Südamerika bringen, wo er eine neue Identität annehmen würde. Es galt jetzt ganz still zu sein!

„Hast Du mir eigentlich die Drogen untergeschoben, Alfredo“, fragte Klaus?
Garcia verneine und berichtete, dass die Polizei die Anklage gegen Klaus fallen gelassen hat, weil sie einen Schuldigen ermitteln konnte. Genaueres wusste Garcia auch nicht. Er hatte die Kinder nur möglichst schnell aus der Schusslinie bringen wollen, dachte die Chinesen könnten meinen Klaus wisse etwas über den Verbleib des Vaters oder über die Erfindung.

Es war noch nicht an der Zeit, alle Anwesenden in die Geheimnisse des Pilgers und der Uris einzuweihen.

Michael war nach draußen gegangen um frische Luft zu tanken. Er wusste recht gut, würde es bekannt, was die naturverbundene Wanderschaft, das Leben aus der Natur und geistig, seelische Übungen dem Menschen für Potentiale eröffnen können, im Nu wären die Wälder übervölkert, von Möchtegern- Uris und Profiteuren. Es würde zugehen wie beim Goldrausch. Millionen würden in die Wälder ziehen. Es gäbe überall naturnahe Unterkünfte, Kräuterstände an den Waldecken, Uri- Snacks und Dinge, die man sich noch gar nicht vorstellen kann.
Bis die Massen festgestellt hätten, dass das gar nicht so einfach funktioniert, wären die letzten Refugien dieser Welt für immer vernichtet worden.
Das war auch der Grund, warum die Alten untertauchten. Würde sich in der Öffentlichkeit verbreiten, dass es Menschen gab, die sehr, sehr alt werden, bei bester Gesundheit, es würden Fragen gestellt. Und die Antworten hätten vermutlich verheerende Folgen.

Oder vielleicht doch nicht? War es nicht langsam an der Zeit, aus dem Winkel der Mythen und der Esoterik herauszutreten. Aber diese Entscheidung würde er dem Rat der Uris überlassen müssen. Es blieb nur zu vermuten, dass die noch einiges mehr wissen, als er auch nur ahnen könnte.

Und es gab noch einen sehr praktischen Grund vorsichtig zu sein. Sein etwas überstürzter Versuch vor der Bildfläche zu verschwinden, hatte einen sehr realen Grund. Ein „Agent“, ein freier Mitarbeiter - über einige Umwege- einer Rentenversicherung, war auf ihn zugekommen. Er hatte den Auftrag ihn zu töten. Es gab Rentenversicherungen, die keinen Deal mit der Regierung hatten, wie etwa die Träger der Riesterrente, bei denen ab dem Alter von 85 die Rentenzahlung der Staat übernimmt. Profite privatisieren, Risiken sozialisieren! Manche Rentenversicherungen hatten offensichtlich eine ganz besondere Vorstellung von Rentenmathematik und Altersstatistik. (Aber das ist eine anderer Geschichte und die soll ein andermal erzählt werden.  )

Der „Agent“ hatte sich als ein Sympathisant der Uris herausgestellt, der bei geeigneten Bewerbern deren Ableben inszenierte, und den „Kunden“ auf die Tour schickte. Manchmal hat man Glück!

Aufgrund der Umstände die mit dem überraschenden „Unfalltod“ seines Sohnes Friedrich zusammenhingen, musste er wieder aus der Versenkung auftauchen, und der Agent hatte ein Problem. Möglich, dass ihm bald wieder ein „Unfall“ widerfahren würde.

Gerald verließ gerade die Hütte und kam auf ihn zu. Der Junge hatte großes Potential. Der Kampf gegen seine Krankheit hatte einiges in ihm angestoßen. Vielleicht war die Zeit reif
- oder es war einfach nicht mehr genug Zeit übrig um noch länger zu warten - die Öffentlichkeit mit gewissen Dingen zu konfrontieren. Ganz vorsichtig und behutsam. Die Leute dort abzuholen, wo sie waren. Ein Junger wie Gerald könnte das tun, ohne die Frage der Langlebigkeit diskutieren zu müssen.

„Frohe Weihnachten!“, wünschte Gerald, als er Michael erreichte.


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RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#25 von Advocatus Diaboli , 25.12.2020 10:37

Zitat von petias im Beitrag Sinn und Zweck
Hier möchte ich, leicht überarbeitet, die 24 Tage aus dem Jahre 2016 nochmal publizieren. Denn es wird sich zum ersten Teil einer Trilogie auswachsen, deren 3. Teil "NWO" ist. Der zweite Teil, "die Wende", wird auch nicht lange auf sich warten lassen.


Hallo petias,
die 24 Tage sind um! Also war es das wohl?
Ein richtiger Roman ist das aber nicht. Eher kleine Szenen, überfrachtet mit theoretischen Erklärungen und für die meisten Leser nutzlosen Beschreibungen von archaischen Alltagstechniken. Meinst Du, dass das jemand lesen mag?


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RE: "Die Tour" von Ägidius Possensack

#26 von petias , 25.12.2020 14:29

Dir auch frohe Weihnachten, Teufelsanwalt! Schön, dass du wieder da bist. Ich hatte dich vermisst!

Das ist kein Roman, da gebe ich dir recht. Ich nenne das eine Romanstudie. Kurze Episoden, die Figuren charakterisieren, Handlungsabläufe skizzieren, Themen und Gedanken anreißen.
Als ich mich 2016 entschloss diese kleine Adventsgeschichte zu schreiben, jeden Tag, 24 Tage lang, ein Kapitel, damals noch neben meiner normalen Arbeit als Softwareentwickler, ging es mir darum zu sehen, ob ich über einen festgelegten Zeitraum hinweg kontinuierlich an einer Geschichte arbeiten kann, ohne mich mit mir zu langweilen.
Der Versuch stand unter dem Eindruck, dass Jack London es sich viele Jahre lang zur Gewohnheit gemacht hatte, 1000 Worte pro Tag zu schreiben. Ich wollte das in bescheidenem Rahmen versuchen.

Ich bemerkte, dass es nicht so meines ist, eine Handlung und die Handelnden von vornherein akribisch festzulegen, ein Story- Bord anzulegen, nach dem das Skelett der Geschichte danach in Fleißarbeit mit Fleisch zu füllen wäre.

Ich fange gerne an zu schreiben und sehe mir dabei zu, was passiert. Zwar sind die "bits and pieces" irgendwo in meinem Kopf und in meinen Gefühlen, aber von der konkreten Handlung bin ich möglicherweise selber mehr überrascht, als ein potentieller Leser.

In weiteren Durchgängen soll die Geschichte ausgefeilt werden. Sowohl was die Handlung angeht, als auch die Personen und die Hintergründe. Brüche müssen aufgespürt und beseitigt werden.

Das gilt um so mehr, als in diesem Fall drei zeitliche Handlungsstränge, miteinander in Beziehung gebracht werden sollen. Ich muss die ganze Geschichte entwerfen, damit sie aus einem Guss sein kann.

Was du gerade miterleben kannst, wenn du willst, ist diese erste Handlungsstudie, die dann die Basis für die weiteren Entwicklungsphasen ist.
Vermutlich hat die Endfassung, sollte es die mal geben, mit der jetzigen nicht mehr sehr viel zu tun.

Meine Hoffnung ist immer, dass ich Hinweise, Kritik und Kommentare bekomme, die die Geschichte bereichern könnten. Hin und wieder kommt es mit jemand zu einem Austausch darüber außerhalb des Forums. Innerhalb bist du bis jetzt der einzige Kommentator. Also weiter so!

Noch ein Satz zu den "nutzlosen Beschreibungen":
Der aktuelle Trend heißt "zeigen statt beschreiben" und "keine ausführlichen Beschreibungen. Schreibe nichts, was den Lesefluss behindern könnte."

Ich glaube nicht, dass ich das will. Zumindest gehörten "Robinson Crusoe" und die "Höhlenkinder" und auch viele Bände von Karl May zu meinen Lieblingsbüchern. Da gibt es viele Anleitungen und detaillierten Beschreibungen. Auch wenn ich manchmal im Spannungsfieber das eine oder andere übersprungen habe, meistens kehrte ich später wieder dazu zurück. Spätestens beim nächsten Mal Lesen waren mir diese Beschreibungen wichtig!

Mal sehen, wie sich das alles entwickelt.


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